Kriegsgefangene und Erweckung

Reise auf den Spuren der Geschichte im Herbst 2022
Auch in diesem Jahr fand nach dem Missionstag eine Studienreise „Auf den Spuren der Geschichte“ statt, die das Hilfskomitee Aquila veranstaltete. Am Montag, den 31. Oktober, ging es morgens nach Wernigerode im Harzgebirge. Hier wohnte viele Jahre die Familie des bekannten Predigers, Lehrers und Schriftstellers Jakob Kroeker.
Bei dem Haus, wo Jakob Kroekers Familie bis 1946 lebte, war unser erster Treffpunkt. Hier wurde 1920 durch die Mitwirkung von den Brüdern Walter Jack und Jakob Kroeker der Missionsbund „Licht dem Osten“ gegründet. Von hier aus ist auch die Arbeit unter den russischen Kriegsgefangenen geführt worden. Es wurden Bibelkurse in den Lagern organisiert und eine Bibelschule für Kriegsgefangene startete im September 1920 mit 20 Schülern aus den Lagern. Diese Schule existierte sieben Jahre – bis 1927. Die Hälfte der Schüler ist zurück nach Russland gegangen, um dem russischen Volk mit Gottes Wort zu dienen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam Wernigerode unter sowjetische Besatzung. Die Missionsarbeit war nicht mehr möglich, woraufhin die restlichen Mitarbeiter 1946 nach Westdeutschland gezogen sind.
Im Oktober 1946 war in Stuttgart-Mühlhausen der Neustart der Mission „Licht im Osten“, die auch heute noch ihren Auftrag erfüllt, das Gotteswort unter den Völkern des Ostens zu verbreiten. Unser Besuch traf auf das Schokoladenfestival in Wernigerode, und es waren viele Gäste in der Innenstadt. Ein ortskundiger Bruder führte uns durch die Stadt und erzählte einiges über die Geschichte der sehr alten Gebäude. Nach einem gemeinsamen Mittagessen fuhren wir dann weiter nach Quedlinburg.
Wir besuchten hier den Zentralfriedhof, wo sich eine Gedenkstätte der verstorbenen Kriegsgefangenen des Ersten Weltkrieges befindet. Sie ist bis heute erhalten geblieben. Hier sind Franzosen, Russen, Belgier und Engländer beerdigt worden. Der damalige Bürgermeister von Quedlinburg hat sich in seiner Eröffnungsrede verpflichtet, dieses Denkmal für alle Zeiten zu pflegen und zu schützen. Dank dieses Versprechens wird es bis heute gepflegt und 2014 wurde es restauriert. Auf der Rückwand des Memorials stehen die Namen der Verstorbenen im Lager. Die russischen Namen sind in russischer Sprache eingraviert.
Die Stelle, wo das Kriegsgefangenenlager Quedlinburg war, liegt in der Nähe der Autobahn. Von diesem Lager, in dem ca. 12000 Kriegsgefangene waren, ist ein Denkmal erhalten geblieben, das die Kriegsgefangenen selbst aufgebaut haben. In diesem Lager waren viele russische Kriegsgefangene und es ist eine kleine Gemeinde mit ca. 51 Mitgliedern entstanden. Hier wurden auch zweimal kurze Bibelkurse von den Brüdern J. Kroeker und W. Jack durchgeführt. An diesen nahm Pawel Tschigaleitschik teil, der später in Sibirien als Missionar tätig war.


Von da aus fuhren wir nach Berlin-Spandau. Da wurden wir sehr freundlich von Johann S. im Bethaus der Gemeinde aufgenommen, wo wir auch übernachtet haben. Am nächsten Morgen trafen wir uns bei der Gedenkstätte der Berliner Mauer mit einem ehemaligen Berliner Pastor, der den Mauerbau und auch den Mauerfall miterlebt hat. Die Mauergedenkstätte wird gut besucht. Sie beinhaltet ein Museum, in dem die Geschichte einer ganzen Epoche dargestellt wird: die DDR-Zeit, der Aufbau der Mauer und der Mauerfall. Viele versuchten über die Mauer zu fliehen, doch es kostete vielen das Leben. Sogar eine große Kirche wurde 1985 gesprengt, da sie in der Sichtlinie der Grenzwache stand.
Auch heute steht die Gemeinde Gottes dieser Welt im Weg und ist für sie ein Stolperstein, auch heute wollen viele am liebsten die Gemeinde auslöschen. Heute steht auf dem alten Fundament dieser Kirche eine neue, aus Lehm gestampfte Kirche und ihre Glocken läuten noch zum Gebet.
Das Mauercafé ist eine Einrichtung, wo behinderte Menschen arbeiten können. Dort hatten wir unsere Mittagspause. Nach dem Mittagessen gingen wir am Reichstag und dem Brandenburger Tor vorbei und kamen zur Holocaust-Gedenkstätte, wo wir eine Führung hatten.


Um 19 Uhr versammelte sich die Gemeinde in Spandau und wir konnten mit Zeugnissen und Predigt dienen. Das Bethaus ist nicht groß, die Gemeinde spricht teils Russisch, teils Deutsch, es waren auch ukrainische Glaubensgeschwister anwesend.
Wir besuchten auch zwei Versammlungshäuser, die mit unseren Glaubenswurzeln verbunden sind. Das eine ist in Berlin-Schöneberg. Hier entstand gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Brüdergemeinde. Dank der Arbeit und des Vermögens von Toni von Blücher wurde das Gebäude erworben. Seitdem versammeln sich hier Christen. Nach einem freundlichen Empfang hörten wir in dem historischen Saal eine Andacht. Anschließend folgte ein Vortrag über die Entstehung der Gemeinde und der Allianz Bibelschule. Gott gebrauchte hier unter anderem die Brüder Bedecker und Georg von Viebahn.
Die 1905 gegründete Bibelschule wurde von Christian Köhler und Johannes Warns (beide waren aus der Landeskirche ausgetreten) im Segen geleitet. Hier haben viele Mennoniten aus Russland und russische Brüder der Baptistengemeinden ihre geistliche Ausbildung bekommen. Bis 1919 war die Bibelschule in diesem Haus. Von 1919 bis heute ist die Bibelschule in Wiedenest/Bergneustadt.
In Charlottenburg steht im Hof der Bismarckstraße 40 eine 120-jährige Kirche. Sie diente viele Jahre der Katholisch-apostolischen Gemeinde und dann der Jüdischen Gemeinde als Synagoge. Danach kauften die Baptisten das Gebäude ab. Ab Mitte 1930 hatte die russische Evangeliums-Christen Gemeinde dort Unterkunft gefunden. In dem Kirchsaal befindet sich ein Taufbecken.
Der letzte Pastor der Gemeinde war Rudolf Vogel. 1948 wurde er entführt und verhaftet. Er starb im Gefängnis der Stasi.
Die russische Evangeliums-Christen Gemeinde in Berlin entstand dank der Arbeit von den Brüdern David Bekker, Franz Bonnke und Ivan Motorin, dem Missionar aus Russland, der auf den Auftrag von I. S. Prochanow nach Berlin gekommen war. Die russische Gemeinde hatte sich bis Mitte der 1970er Jahre aufgelöst. Der amtierende Pastor hat uns in dem Saal der Kirche begrüßt. Bei Kaffee und Kuchen wurde uns eine Präsentation über die Geschichte und das Schicksal der ehemaligen russischen Gemeinde gezeigt.
Bei dem Vortrag und den Gesprächen vergingen schnell ein paar Stunden. Vieles habe ich für mich entdeckt und gelernt.
Diese Fahrt hat mich noch mal darin gefestigt, dass ich in meinem Herrn eine Zuflucht und eine feste Burg habe. Generationen wechseln sich, aber die auf den Herrn gebaut und ihm vertraut haben bekommen neue Kraft und neuen Mut.
„Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“ (Psalm 18,30).
J. S.