Mut zur Mission

Das inspirierende Missionsverständnis der Täufer

Der Ursprung der Täufer liegt in der Reformationszeit. Im Januar 1525 schlug nach diversen religiösen Umwälzungen im Europa des 16. Jahrhunderts auch die Geburtsstunde des Täufertums. Ziel der Täufer war es nicht, die bestehende katholische Kirche zu reformieren, sondern Gemeinden nach dem Vorbild der Urgemeinde zu gründen. Damit wählten die Täufer einen Weg der Nachfolge Jesu und des entschiedenen Gehorsams gegenüber dem Missionsbefehl ihres Herrn. Es war eine Bewegung leidenschaftlicher Evangelisten. Verfolgung bis hin zum Martyrium gehörte zu ihrem Alltag. Sie waren bereit, das Evangelium in Wort und Tat weiterzugeben. Sie waren von der brennenden Überzeugung beseelt, dass das Evangelium von Jesus Christus allen Menschen verkündet werden muss, bevor der Herr wiederkommt. Genau dazu fühlten sie sich berufen.

Was bewegte die Täufer zu einem so entschiedenen und unermüdlichen missionarischen Zeugnisdienst? Sicherlich spielten eine Reihe von Faktoren eine Rolle.

Im Folgenden sollen drei Ansätze etwas näher beleuchtet werden: Das Schriftverständnis, das Gemeindeverständnis und das Sendungsverständnis.

1        Das Schriftverständnis

Die Einstellung eines Christen zur Mission kann nicht von der Einstellung zur Heiligen Schrift getrennt werden. Die Bibel ist die Grundlage, die Motivation und das Mittel des missionarischen Einsatzes, deshalb ist die Gewissheit, es in der Bibel mit dem inspirierten und wirksamen Wort Gottes zu tun zu haben, von entscheidender Bedeutung. Jede gottgewollte Veränderung, die das eigentliche Ziel des Evangeliums ist, kann nicht ohne das Wort Gottes bewirkt werden, denn die Schrift ist nicht nur Maßstab, sondern eine wirksame Kraft.

John R. W. Stott schrieb: „Ohne die Bibel wäre die Weltevangelisation nicht nur unmöglich, sondern eigentlich undenkbar […] Darüber hinaus ist es ein unübersehbarer Tatbestand der vergangenen und gegenwärtigen Geschichte, dass der Grad der Hingabe der Gemeinde an die Weltmission vergleichbar ist mit dem Grad ihrer Überzeugung von der Autorität der Bibel. Jedes mal, wenn Christen ihr Vertrauen in die Bibel verlieren, verlieren sie auch ihre Begeisterung für Evangelisation.“[1]

Die Wahrhaftigkeit dieser Aussage wird auch aus der Missionsgeschichte der Täuferbewegung ersichtlich.

Vom Augenblick ihrer Bekehrung an wurden die Täufer begierige Leser der Schrift. Sie lernten viele Passagen auswendig und bereiteten sich darauf vor, biblische Gründe für ihren Glauben anzugeben.

Der hutterische Missionar Veit Grünberger schrieb an einen Freund, „er hoffe, hundert Kapitel des Neuen Testaments auswendig lernen zu können“[2]. Die hohe Wertschätzung der Schrift resultierte aus der unerschütterlichen Überzeugung ihrer Inspiration durch den Heiligen Geist.

Michael Sattler, der gefangene Prediger der Schweizer Brüder, schrieb 1527 an seine Freunde und Nachfolger: „Lasset euch niemand das Ziel verrücken, welches gelegt ist durch den Buchstaben der Heiligen Schrift, welcher versiegelt ist mit dem Blut Christi und vieler Zeugen Jesu.“[3]

Die Täufer verbrachten nicht nur viel Zeit mit dem Studium der Heiligen Schrift, sondern hielten sich auch streng an das Prinzip sola scriptura: allein die Schrift ist maßgebend. Die Schrift allein „war für Lehre und Leben, für jeden Gottesdienst und alles Tun, für alle Kirchenordnung und Kirchenzucht autoritativ.“[4]

Der Heidelberger Professor Walter Köhler, der sich intensiv mit der Geschichte der Mennoniten beschäftigte, stellte fest: „Die Täufer wollten gute Bibelchristen sein und sind das im großen Ganzen gewesen.“[5] Vor seinem Tod sagte er, er sei zwar reformiert, habe aber als Täufer gelebt und wolle auch als Täufer sterben.

Die Missionsbefehle der Bibel haben das Schriftverständnis der Täufer in besonderer Weise geprägt. Diese Schriftworte dienten ihnen als Schlüsselworte zum Verständnis der Heiligen Schrift. Die Täufer waren Biblizisten, weil sie die Bibel in ihrem Zusammenhang lasen und nicht einzelne Verse herausgriffen, um damit etwas zu beweisen. Sie lasen die Schriften in ihren großen historisch kulturellen Zusammenhängen und interpretierten Geschichte und Kultur im Licht der Heiligen Schrift und nicht umgekehrt.

Gottfried Gerner erklärt diese Tatsache wie folgt: „Die spezifische Lehre von der Schriftauslegung […] in der Täuferbewegung ist eine Hermeneutik des Apostolischen, des unweigerlich Gesandt-Seins des Missionarischen.“[6] Mission war für die Täufer der Mittelpunkt zum Schriftverständnis.

Wir können festhalten: Die Einstellung zur Bibel und die Einstellung zur Mission sind untrennbar miteinander verbunden. Die Bibel ist sowohl die Grundlage als auch die Motivation und das Mittel des missionarischen Handelns. Wir können uns die Missionstätigkeit der Täufer in dem Umfang und mit der Entschlossenheit, wie sie durchgeführt wurde, nicht ohne ihre Einstellung zur Bibel vorstellen. Die Täufer hätten niemals die Missionare sein können, die sie waren, ohne „Biblizisten“ zu sein.

2        Das Gemeindeverständnis

Für die Täufer war die Gemeinde der Mittelpunkt ihres Denkens. C. Henry Smith schrieb: „Tatsächlich war die ganze Bewegung ein Versuch, so buchstäblich wie möglich die apostolische Kirche in ihrer ursprünglichen Reinheit und Einfachheit wiederaufzurichten und das Christentum auf der Basis persönlicher Verantwortlichkeit zu erneuern.“[7]

Auch in den theologischen Werken von Menno Simons lässt sich ein Schwerpunkt feststellen: die Verwirklichung der christlichen Gemeinde nach apostolischem Vorbild. Es wird berichtet, dass Menno Simons auf seinem Sterbebett gesagt haben soll, dass ihm nichts auf Erden kostbarer gewesen sei als die Gemeinde.[8]

Das täuferische Gemeindeverständnis hing aber auch mit ihrem Weltbild und ihrem Geschichtsverständnis zusammen. Die Täufer sprachen vom ‚Sündenfall‘ der Kirche. Sie glaubten, dass das Neue Testament die Urgemeinde so darstellt, wie die Gemeinde Jesu sein soll und sein kann. Sie hat manche Fehler und ist nicht vollkommen, aber sie hat immer Zugang zu Gott und kann Vergebung bekommen. Sie waren jedoch der Ansicht, dass die Kirche im Laufe der Zeit gefallen sei und setzten das Datum zwischen 325 und 382 an. Kaiser Konstantin gewährte den Christen 313 in seinem Reich Religionsfreiheit, sodass die Verfolgungen eingedämmt wurden. Unter Theodosius wurde das Christentum 390 zur Staatsreligion erhoben. In dieser Vereinigung von Staat und Kirche sahen die Wiedertäufer den Sündenfall der Kirche.[9]

Sie sahen in den Namenschristen ein neues Heidentum, welches evangelisiert werden musste. Die Gemeinde steht heute in einer ähnlichen Situation.

Das täuferische Verständnis von Gemeinde hängt mit dem Verständnis von Jüngerschaft zusammen. Ein Jünger folgt seinem Meister, seinem Lehrer, seinem Herrn. Er schaut ihm auf den Mund, liest seine Gedanken und freut sich, wenn er etwas im Sinne seines Meisters tun kann. Ein Jünger repräsentiert seinen Herrn, folgt ihm in seinen Fußstapfen und handelt in seinem Auftrag. Nachfolge war für die Täufer nicht Sache des Einzelnen, sondern der Gemeinschaft; sie konnte nur im Rahmen der Gemeinde geschehen.

Die Täufer waren überzeugt, dass die Gemeinde nur dann in der Welt entstehen und bestehen kann, wenn sie als Zeuge in der Kraft des Geistes wieder in die Welt hinausgeht.

Wir halten fest: Ohne Gemeinde keine Mission und ohne Mission keine Gemeinde. „Gemeinde und Mission sind voneinander abhängig wie das brennende Feuer von der glühenden Kohle.“[10] So wie die Mission aus der Gemeinde kommt, so hat die Gemeinde ihren Ursprung in der Mission. Gerade durch die Weltmission baut der Herr weltweit seine Gemeinde, und die Gemeinde ist sein Werkzeug für die weltweite Mission. Nach Georg Vicedom hat die Gemeinde „nicht zu entscheiden, ob sie Mission treiben will, sondern sie kann sich nur entschließen, ob sie Kirche [Gemeinde] sein will“[11].

Getrennt voneinander sind Gemeinde und Mission weder existenzfähig noch existenzberechtigt.

Die Überzeugung, dass die Gemeinde in der Welt nur dann entstehen und bestehen kann, wenn sie als Zeuge mit der Heiligen Schrift und in der Kraft des Geistes wieder in die Welt hineingeht, gehört zu der Treibkraft der Täufermission.

3        Das Sendungsverständnis

Die Täufer verstanden sich als Gesandte des Herrn. Ihr Sendungsbewusstsein entnahmen sie dem Missionsbefehl. Keine Bibelstellen wurden in den Glaubensbekenntnissen und Gerichtsaussagen der Täufer häufiger zitiert als der Missionsbefehl nach Matthäus 28 und Markus 16.

Hinter dieser Sendung steht der Sendende, der auferstandene Herr, dem alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist. Er ist derjenige, der bevollmächtigt und beauftragt. Er hat den konkreten Auftrag gegeben, Menschen zu Jüngern Jesu zu machen. Die Gesandten richten diesen Auftrag aus. Die Empfänger sind Menschen in nah und fern, die nichts dringender brauchen als die rettende Botschaft von Jesus Christus. Diese biblische Sicht motivierte die Täufer zu einem unermüdlichen Zeugnis in extremen Umständen. Die Geschichte weiß davon viel zu berichten.

„Christus hat seine Jünger ausgesandt“, sagte Felix Manz und er habe ihnen befohlen, dass sie hingehen und alle Völker zu Jüngern machen sollten. Während des Verhörs fragten die Richter, von wem er diesen Befehl erhalten hat. Darauf antwortete er: „Jesus Christus selber hat Sendungsgewalt, denn sie ist im gegeben worden.“[12]

Menno Simons schreibt: „Als Boten und Prediger des Friedens sandte er seine Apostel aus, welche diese Gnade durch die ganze Welt verbreiteten. Sie leuchteten gleich hell scheinenden Fackeln vor allen Menschen, damit sie mich und alle verirrten Sünder auf den rechten Weg führen sollten. [   ] Ihre Worte liebe ich; ihrem Brauch folge ich; deinem lieben Sohn Christus Jesus, den sie mir gepredigt haben, glaube ich; seinen Willen und Weg suche ich“[13].

Der Täufermissionar Hans Schmidt, der 1558 in Aachen mit noch elf anderen Geschwistern verhaftet und gefoltert wurde, bezeugte beim Verhör: „Denn gleich wie Gott seinen Sohn gesandt hat, der Sohn aber die Apostel in alle Welt, also sendet er auch noch seine Diener durch seinen Geist, dass sie zuerst das Wort Gottes predigen sollen, den aber, der solches hört, versteht und glaubt, sollten sie taufen.“[14]

Wir halten fest: Mission ist nichts anderes als Wahrnehmung der Sendung. Es ist unmissverständlich klar: Ohne ein biblisches Sendungsverständnis ist Mission unmöglich. Das Wissen um die Sendung war die Quelle der Kraft, die befähigte, in Entbehrungen, Gefahren, Leiden und selbst im grausamen Martyrium durchzuhalten.

Die Begeisterung für die missionarische Tätigkeit der Täuferbewegung ist überwältigend. Was hat sie dazu getrieben? Diese Frage drängt sich beim Lesen der geschichtlichen Berichte immer wieder unwillkürlich auf. Es war ihr Schriftverständnis, die Überzeugung von der Autorität der Bibel. Eine der wichtigsten Rollen spielte ihr Gemeindeverständnis. Sie hatten sich entschieden, eine Gemeinde nach Gottes Vorstellung zu sein und somit war die Entscheidung für die Mission getroffen. Nicht zuletzt war es ihr Sendungsverständnis. Sie gingen im Auftrag des Sendenden.

Was fehlt uns heute, um auf dem von ihnen gewählten Weg zu bleiben oder ihn überhaupt erst zu betreten?

A. E. Bielefeld


[1] Zit. in Hans Kasdorf, Friedemann Walldorf (Hg.). Werdet meine Zeugen: Weltmission im Horizont von Theologie und Geschichte. Hänssler Theologie. Hänssler: Neuhausen-Stuttgart, 1996. S. 201.

[2] John C. Wenger. Die Täuferbewegung: Eine kurze Einführung in ihre Geschichte und Lehre. Oncken: Wuppertal, 1984. S. 62.

[3] Ebd. S. 63f.

[4] F. Guy (Hg.). Das Täufertum: Erbe und Verpflichtung. Evang. Verlagswerk: Stuttgart, 1963. S. 164.

[5] Ebd. S. 162.

[6] Zit. in Hans Kasdorf (u. a.) (Hg.). Werdet meine Zeugen. a. a. O. S. 196.

[7] F. Guy (Hg.). Das Täufertum: Erbe und Verpflichtung. a. a. O. S. 162.

[8] Vgl. Menno Simons. Die Schriften des Menno Simons. Mennonitische Forschungsstelle; Samenkorn: Weierhof; Steinhagen, 2013. S. 1121.

[9] Vgl. Hans Kasdorf (u. a.) (Hg.). Werdet meine Zeugen. a. a. O. S. 190f.

[10] Ebd. S. 28.

[11] Zit. in ebd.

[12] Hans Kasdorf Vortrag: „Mission der evangelischen Taufgesinnten und ihre Bedeutung für uns heute.“

[13] Menno Simons. Die Schriften des Menno Simons. a. a. O. S. 111.

[14] Thielemann Jantz van Braght (Hg.). Märtyrer-Spiegel der Taufgesinnten oder wehrlosen Christen. Teil II. Pathman Puplishing Corporation: Aylmer, Ontario, 2011. S. 156.