Hoffnungsvoll in die Zukunft!

Reise in die Ostukraine vom 4.-10. Februar 2019
Als Pavel D. letztes Mal in Albisheim war, sagte er u.a.: „es lässt sich bequem sitzen, wenn keine besondere Not ist“. Dieses Wort ließ mich nicht mehr los. Ich fühlte mich verpflichtet der Einladung zu folgen und einen Besuch in Mariupol zu machen, um die Gemeinde dort zu besuchen. Mein Wunsch war es, sie in ihrer Arbeit zu ermutigen. Das tat ich unter dem Motto: „Denn dass ich das Evangelium predige, dessen darf ich mich nicht rühmen; denn ich muss es tun. Und wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte! Tue ich’s freiwillig, so wird’s mir gelohnt. Tue ich’s aber unfreiwillig, so ist mir das Amt doch anvertraut.“
1 Kor.9,16
Ich betete, dachte nach und hatte dann meine Freunde angesprochen, ob die bereit wären mitzukommen. Meine Freude war groß, als sich fünf Teilnehmer bereit erklärten mitzufahren.
Als wir am Abflugtag alle Sicherheitskontrollen durchgelaufen waren, hieß es plötzlich: der Flug wird wegen Wetterbedingungen um 24 Stunden verlegt. Die Brüder nahmen das gelassen hin, und so übernachteten wir in einem Hotel in Frankfurt. Warum, wussten wir zunächst nicht. Doch dann gab uns Gott ein tiefgehendes Gespräch mit Ferhat, einem Türken.


In Kiew wurden wir von einem Missionar empfangen, um seine kleine Gemeinde in Borispol (100.000 Bewohner) am Sonntag im Gottesdienst zu unterstützen. Wir blieben mit Peter E. bei Oleg, der in Donbass alles verloren hatte. „Verloren? Nein, wir haben alles gewonnen!“, sagte Oleg nachdenklich auf meine Anfrage. Er hatte mit seiner Frau und den fünf Kindern dort eine Gemeinde gegründet. Die kleine Gemeinde ist erst drei Jahre alt.
Die anderen Männer, Hans, Richard und Alex fuhren zu Valery, einem Missionar und Pastor einer anderen Gemeinde in Kiew. Valery wurde dorthin berufen, um neue Gemeinden zu gründen. Er ist dort mit seiner Familie, die ihn unterstützt.
Nach dem Gottesdienst fuhren wir nach Beresniki. Wir kamen gerade zum Abendgottesdienst der Pennsylvania Mennoniten! Diese leben sehr abgesondert und haben dort eine eigene Schule. Zwei Jungen von Alexander und Elena wohnen in Rumänien. Auf solche Art und Weise wollen sie dem Militär entkommen. Ihr Pastor Wayne H. aus Pennsylvanien hat einen eigenen Hof und Haus. Die Gemeinde missioniert u.a. durch das Verteilen von Saatgut an die Bevölkerung. Zudem führen sie Beerdigungen und andere Anlässe durch. Beim Mittagessen sagte uns Wayne: „Es gibt etwa 280.000 Dörfer in der Ukraine. Ein großes Missionsfeld!“ Somit wird er nie ohne geistliche Arbeit bleiben. Ihre Abgeschiedenheit von der Welt auf der einen, und ihre Offenheit auf der anderen Seite hat uns sehr beeindruckt.


In Rakitnoe besuchten wir eine Gemeinde und die Familie von Tolik und Tanja. Tolik fuhr uns dann nach Kiew, sodass wir abends im Zug nach Mariupol saßen. Die Überraschung und die Freude waren groß, als uns Pavel und Sascha im Zug aufsuchten. Sascha ist Buchhalter in der Gemeinde. Beide hatten ihre Kollegen in Kiew besucht, um mit ihnen Erfahrungen auszutauschen. Es ging um humanitäre Hilfen, die ordnungsgemäß verbucht werden müssen.
Im Zug wurde zuerst gesungen. Nachdem das Licht ausgeschaltet wurde, erzählte jeder seinen Weg zu Gott.


Mittwoch. Wir wurden mittags in Mariupol empfangen und im Gemeindehaus der Christus-Erlöserkirche untergebracht. Die Luft im Gästezimmer war gewöhnungsbedürftig.
Pavel zeigte uns das ganze Gemeindezentrum, inklusive des alten Gemeindehauses, einem Wohnheim für Obdachlose, die Heizungszentrale und ein großes Gelände, auf dem später ein Altenheim gebaut werden soll.
Nach dem Rundgang fuhren wir mit Oleg C. zu Pokryschkino, wo zum ersten Mal eine größere Gruppe Erzieher aus den Kindergärten eingeladen worden war. Nach einer Andacht wurden diese eingeladen, sich am Kleidertisch zu bedienen. Die ganze Arbeit wird von den Bewohnern des Stadtviertels intensiv unterstützt. Nachdem wir etliche Lieder gesungen hatten, meinte Oleg: „Wenn ihr euch verabschiedet, sagt nicht, dass ihr aus Deutschland seid.“
Wir fuhren weiter zum Gottesdienst in der Gemeinde.


Donnerstag. Vormittags machten wir mit den Brüdern Hausbesuche bei Gläubigen und noch Ungläubigen. Von zwei Besuchen möchte ich hier berichten.
Julia ist alleinerziehende Mutter. Ihr fünftes Kind ist vom dritten Papa! Alle haben Windpocken, doch in dieser Situation kann sie sich dennoch freuen. Sie weiß, dass alles in Gottes Hand ist und dass ihre Situation nicht so schlimm ist, wie die von anderen Familien. Andere Familien müssen mit Masern kämpfen.
Anatoly und Ljuba wohnen allein im Elternhaus. Beide ließen sich vor zwei Wochen taufen. Ihr großer Schmerz ist der einzige Sohn, der plötzlich mit 37 Jahren verstorben ist. Morgens früh lag er einfach auf dem Fußboden. Als sie ihm aufgefunden haben, war er noch etwas warm, jedoch leblos. Ihre große Aufgabe ist es, sich um die 14-jährige Alexandra mit allen Stimmungsschwankungen ihres Alters zu kümmern.


Freitag. An diesem Tag gab es eine Rundfahrt in Mariupol, wo Oleg uns die Kriegsspuren zeigte. Die Kriegszeit ist die beste Zeit gewesen für Evangelisation unter Soldaten und Flüchtlinge. Jetzt ist es vorbei, was Soldaten angeht… Es kommen aber immer noch Hunderte aus der Zivilbevölkerung, um das Evangelium zu hören.
Die meisten der zerstörten Häuser in Mariupol sind entweder wiederhergestellt, oder mit Werbeplakaten beklebt. Es ist der Stützpunkt der Russen, den die Ukrainer beschossen haben. Auf solche Weise wurden die Russen vertrieben. Ein Denkmal menschlichen Hasses und Grausamkeit!
Ein Nachtgast störte einmal unseren Schlaf. Früh um 5 Uhr suchte ein Mann etwas in der Küche. Ich ging auch in die Küche… ich konnte dem Gast helfen den Kühlschrank einzuschalten und seine Lebensmittel reinzulegen. Den nächsten Abend trafen wir uns zu einer Tasse Tee. Was er aus seinen vier letzten Lebensjahren erzählte, hat mich zum Nachdenken gebracht. Gennady G., Jahrgang 1956, ist Ältester oder Pastor, hat 7 Kinder und betreut zwei Gemeinden im Donezk-Gebiet. Er sprach über verschiedene Ortschaften: Nischnaja Krinka, Petropawlowka, Nikumino und Gulajpolj. „Der Krieg hat uns und unsere Werte wieder zurechtgerückt. Wir haben ein richtiges Verhältnis bekommen zur Zeit und Ewigkeit! Der Krieg hat uns stabilisiert“, sagte er nachdenklich. Er selbst weiß nicht mehr, wie oft er sterben sollte und wie oft Gott sein Leben verschont hat.
Einige Ereignisse aus seinem Leben:
Gennady erzählte, wie Gott seinen Sohn beschützt hat. Der russische Panzer stand direkt vor seinem Haus. Das Geschoss der Ukrainer einen oder zwei Kilometer weiter. Die Aufgabe war klar: jeder muss jeden umbringen. Es ist Krieg! Schießen Ukrainer, trifft es wahrscheinlich sein Haus. Schießen die Russen, trifft es die Ukrainer… Keiner hat an dem Tage geschossen! Der Sohn, oder die Einheit zu der dieser gehörte, sollte auf die Russen schießen, er tat dies nicht. Sonst trifft es sein eigenes Elternhaus! Die russischen Soldaten wollten immer wieder schießen. Ihr Offizier hielt sie vier Mal davon zurück! Er war mit dem Sohn von Gennady befreundet und wusste: wenn wir schießen stirbt sein Freund.
Das Dorf, in dem Gennady wohnt, ist zu 80% zerstört. Er und seine Familie leben noch. Das Haus steht auch noch. Bei Bombenalarm laufen alle in den Keller. „Wer läuft als erste in den Keller? Die Katze natürlich!“ Er lächelte freundlich. Am 17. Juli 2014 hörte Gennady einen starken Knall, dann noch einen. Plötzlich kam von oben das traurig berühmt gewordene Flugzeug. Durch die ganzen Kabel sah das Flugzeugwrack wie ein Spinngewebe aus. Das Wrack landete außerhalb vom Dorf. Die Leichen fielen in seinen Garten, auf die Dächer der Häuser und auf die Straßen.
Gennady pendelt von einer Gemeinde zur anderen mit dem Fahrrad. Eine bestimmte Strecke, die er fahren muss, stand unter verstärktem Beschuss. Er hatte Angst! Bis er schließlich sagte: „Herr, mein Leben gehört Dir! Wenn Du willst, bring mich dahin“. Schon vier Jahre fährt er mit dem Fahrrad von A nach B, obwohl vieles vermint ist. Kein Geschoß und keine Mine trafen ihn bis jetzt! Gott hält seine Hand über seine Knechte! Der Krieg hat viele Christen stabilisiert. Viele haben ihr Leben mit Gott in Bezug auf die Mission neu geordnet!

Samstag. Der Gemeindeälteste Pavel zeigte uns ihre Arbeitsgebiete. Bevor wir losfuhren, sollte jeder seinen Reisepass einstecken, weil wir die Stadt verließen und einen kleinen Ort namens Jalta besuchten.
Hier die Vorgeschichte: Eines Tages rief ihn jemand an und fragte: „Ihr macht doch Kinderarbeit, oder?“ „Ja“, sagte Pavel etwas unsicher. „Ich will euch ein Geschenk machen. Das Kinderlager steht schon längere Zeit leer. Wäret ihr bereit dieses zu übernehmen, wieder instand zu setzen und für eure Kinder weiter zu betreiben?“
So ist ein gewesenes Pionierlager in den Besitz der christlichen Gemeinde gekommen. Bewacht wird dieses von einem Obdachlosen Viktor. Er freut sich, eine Unterkunft und ein Zuhause bekommen zu haben. Die Gemeinde betet, dass er sich bekehrt.
Das Nächste war ein verlassener Bau, eine ehemalige Telefonstation. Die Gemeinde hatte bei der Behörde um Erlaubnis gebeten, dieses Anwesen zu renovieren und für Gottesdienste zu nutzen. Das ist ein „schlafendes“ Gebiet, d.h. hier ist keine Gemeinde missionarisch aktiv tätig.
Dann zeigte Pavel uns das Anwesen, welches die Gemeinde von einem Geschäftsmann geschenkt bekommen hatte. Der mehrstöckige Bau wurde illegal aufgestellt. Der soll nun zu Baumaterial zerlegt werden. Der Besitzer sagte: „Lieber bekommt ihr dieses, bevor der Staat es an sich reißt. „Das Baumaterial würde für zwei Gemeindehäuser und ein Altenheim reichen“, meinte jemand mit Erfahrung. Für einen Lagerraum für Baumaterial ist auch gesorgt. Es gibt nämlich ein Gelände, das von der Gemeinde kostenfrei genutzt werden kann.
Nicht weit davon entfernt steht ein großes Grundstück mit ca. 5000 qm, im Stadtteil Pokryschkino. Der Antrag an die Behörden läuft. Die Gemeinde will dort ein neues Gemeindehaus bauen. Gemeinsam beteten wir an dieser Stelle, damit Gott dieses Vorhaben segnet, die Behörden das Grundstück freigeben und ein neues Gemeindehaus gebaut werden kann.

Sonntag. Das war der letzte Tag dieser Reise und an diesem erlebten wir einen Gottesdienst und eine Trauung. Der letzte Tag wurde dann auch für Besuche anderer Stellen genutzt. Abends saßen wir völlig müde und erschöpft, jedoch dankbar im Zug und hatten Zeit, vieles zu verarbeiten. Uns ist aufgefallen, dass die Gemeinde sich so weit wie möglich aus der Politik heraushält. Die Gelegenheiten jedoch, das Evangelium weiterzutragen, werden genutzt. Dieses im Gebet zu unterstützen – dazu ist jeder herzlich eingeladen.
V. E.

Zu Besuch bei einer Schwester, die Waisenkinder aufgenommen hat.