Ukraine auf der Flucht


Reise in die Moldau-Republik und Ukraine im März 2022


Du bleibst nicht für immer zornig, denn Du liebst es, gnädig zu sein Micha 7,18
Die letzten Wochen zeigten uns, dass der menschliche Zorn manchmal keine Grenzen kennt. Manche beschließen einen Krieg, andere versuchen mit Hass entgegenzutreten. Nicht selten gibt es hitzige Auseinandersetzungen zwischen Unbeteiligten. Meistens merken wir nicht, wie schnell unsere Rechthaberei in Zorn umschlägt. Die Aussage, die der Prophet Micha über Gott macht, zeigt uns einen Gott, der die Gnade liebt. Wer fragt sich nicht in letzter Zeit, wie lange der Zustand der Welt so anhalten wird? Wie lange werden diese Kriege, Pandemien und Katastrophen andauern? Gottes Zorn bleibt nicht für immer, weil Er Gnade liebt.
Wie diese Gnade in der Ukraine zum Vorschein kommt, soll im Folgenden Reisebericht gezeigt werden.
Wir kamen am 7. März wohlbehalten in Rumänien an. Sofort fuhren wir Richtung Suceava zu einem Treffen mit amerikanischen Mennoniten, die in Rumänien arbeiten. Nachdem wir 150 km gefahren waren, besprachen wir die Veröffentlichung und Übersetzung von Büchern ins Englische und die Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine.


Nach einer kurzen Nacht begaben wir uns zur ukrainischen Grenze. Wir wollten selbst sehen, wie es unseren Glaubensgeschwistern in dieser Krise geht. Kurz vor der Ausfahrt aus Rumänien kamen uns verschiedene Fahrzeuge entgegen, in denen Flüchtlinge gefahren wurden. Direkt am Grenzübergang standen etliche Menschengruppen, die auf Tischen heiße Speisen und Getränke anboten. Auch zu Fuß flüchtende Menschen kamen uns entgegen. Dieser Anblick bewegte uns sehr.


Besonders rührend war das Bild einer Mutter mit ihren zwei Kindern, wobei eines im Kinderwagen war. Wenn man sich in ihre Lage versetzt, möchte man gerne helfen. Diese Frau hat in der Not im gewissen Sinne noch Gottes Gnade erlebt. Sie kann sich wahrscheinlich in Europa vor dem Krieg retten. Doch es stellen sich weitere Fragen: Wo ist ihr Mann? Wie geht es ihm? Wo haben sie ihr Haus gelassen? Wie werden sie es vorfinden? Wer erzählt ihnen von Christus?
Das Ziel dieser Fahrt war die Stadt Tschernovzi. Hier hatten wir einen Bekannten, der sich vor vielen Jahren während einer Haft in der Ukraine bekehrt hatte. Erst letzte Woche gelang es ihm, seine Frau und die jüngeren Kinder nach Europa zu schicken. Er und seine volljährigen Söhne befinden sich noch Zuhause, da sie im Kriegszustand nicht ausreisen dürfen. Er berichtete von nächtlichen Sirenen, war aber froh, dass es in dieser Stadt noch keine Kämpfe gab. Dennoch sahen wir bei der Einreise viele Schutzposten, an denen Bewaffnete kontrollieren.


Gemeinsam besuchten wir eine rumänische Gemeinde, die mit Hilfsgütern aus Rumänien vielen Flüchtlingen hilft. Man sah hier eindrücklich, wie Freiwillige humanitäre Hilfe und Lebensmittel sortierten, in Bullis packten und abtransportierten. Die Verantwortlichen berichteten, dass ein Volunteer bei der Lieferung von Lebensmitteln in ein Kriegsgebiet getötet wurde. Alle strahlten jedoch eine gewisse Entschlossenheit aus, anderen zu helfen. Man sagte uns hier: „Durch diese Not sind wir einander näher gekommen!“


Anschließend besuchten wir eine Baptistengemeinde, in der wir den Bischof für dieses Gebiet und andere Verantwortliche trafen. Auch diese Gemeinde leistet große Arbeit in der Unterstützung von Flüchtlingen. Viele von ihnen werden im Nebengebäude aufgenommen und bewirtet. Aus Platzmangel werden sogar im Gemeindesaal Matratzen auf dem Boden ausgebreitet und so Menschen untergebracht. Der Bischof bemerkte: „Es ist interessant! Diese letzten Tage haben so vieles geändert … Auch unsere Jugendlichen, um die wir uns große Sorgen machten. Innerhalb weniger Tage lösten sich Fragen, die ich nach zehn langen Gesprächen nicht lösen konnte.“
Auch wenn man hier nicht viel Feindschaft gegenüber dem Angreifer zeigte, sahen wir große Plakate, auf denen die russische Bevölkerung aufs schlimmste beschimpf wird. Die Initiatoren scheinen Gottes Gnade noch nicht erlebt zu haben. Da wo man in der Vergangenheit hin und wieder Bibelverse lesen konnte, wird nun leider geflucht.
Nach einer erfolgreichen Grenzüberquerung waren wir froh in Moldau zu sein und besuchten am folgenden Tag ein Freizeitgelände außerhalb von Chisinau. Iosif Bloschenko baut hier mit Hilfe einiger Gemeinden und Helfer kleine Ferienhäuser, die in diesem Freizeitlager für Kinder, Jugendliche, Invaliden und andere Gruppen eingesetzt werden. Obwohl die Räumlichkeiten noch lange nicht fertiggestellt sind, befinden sich auf diesem Gelände aktuell ca. 250 Flüchtlinge. Sie bekommen täglich drei Mahlzeiten, die pro Person ca. sieben Euro pro Tag kosten.


In Bostantscha (Stadtteil von Chisinau) wird an einem Hang ein kleines Gemeindehaus gebaut. Wir fragten wie alt die Bauarbeiter sind und erfuhren, dass hier 15- bis 23-jährige arbeiten und die Bauleitung machen. Man plant noch in diesem Jahr die Einweihung.
Am Nachmittag versuchten wir erneut in die Ukraine zu gelangen. Diesmal jedoch in ein anderes Gebiet: Odessa. Dieser Grenzübergang war mit einigen Hindernissen verbunden, die unser himmlischer Vater wunderbar löste. So erlebten wir eine kurze, jedoch innige Gemeinschaft mit drei Ältesten von drei Gemeinden. Gerne berichteten sie auch von ihrem Dienst den Geflüchteten gegenüber. Wir verstanden, dass man versucht alle Vorräte aufzubrauchen, um Nächstenliebe und Gastfreundschaft zu üben. Obwohl das eigene Gemeindehaus noch nicht fertiggestellt ist, wird auch im vollen Gange Hilfe geleistet. Wie in anderen Orten besteht die größte Not darin, dass man wenig Lebensmittel und Schlafgelegenheiten hat. Man würde sich sehr über Mehl, Matratzen und Bettzeug freuen.
Innerhalb einer Woche haben wir an verschiedenen Orten die Geschwister ermutigt, größere Mengen an Mehl zu besorgen, um auch in Zukunft helfen zu können. So konnten ca. 65 Tonnen Mehl für unsere Glaubensgeschwister erworben werden. Wir beten darum, dass alles weise eingesetzt wird und Bedürftige dadurch Hilfe bekommen.

In Transkarpatien wird ein LKW mit 25 Tonnen Mehl abgeladen.
Insgesamt besuchten wir auf dieser Fahrt fünf Orte, an denen mit Flüchtlingen gearbeitet wird. Überall stellten wir fest, dass die Geflüchteten nur aus Gnade am Leben sind. Überall berichteten die Glaubensgeschwister von wunderbaren Möglichkeiten der Evangelisation. Überall erkannte man eine Opferbereitschaft, die durch die Not hervorgerufen wurde. Auch darin sehen wir Gottes Gnade!
E. E.