Vom Ausgegrenzten zum Volk Gottes

Hilfseinsatz in Moldawien und Ukraine vom 23. Januar bis 06.Februar 2023
Ihr, die ihr einst nicht ein Volk wart, jetzt aber Gottes Volk seid, und einst nicht begnadigt wart, jetzt aber begnadigt seid 1. Petrus 2,10.
Die Gläubigen aus dem Roma-Volk lieben diesen Vers besonders. Sie waren nirgendwo wirklich zu Hause und wurden irgendwann zwangsweise angesiedelt. Sie wurden weiterhin von den Menschen im Land, in dem sie jetzt leben, ausgegrenzt. Irgendwann haben sie das Evangelium von Jesus Christus kennengelernt, sich von ihren Sünden bekehrt und sind Brüder und Schwestern des Heilands geworden. Sie taten jetzt den Willen des Vaters. So wurden sie zwar von Menschen ausgegrenzt, aber von Gott geliebt und zum Volk Gottes hinzugezählt.
Auch wir waren durch die Sünde von der Herrlichkeit Gottes ausgegrenzt, aber durch seine Gnade im Opfertod Jesu dürfen wir Vergebung unserer Sünden erhalten und gehören jetzt zum Volk Gottes. Heute dürfen wir diejenigen sein, die anderen von dieser freimachenden Gnade erzählen.
Vom 23. Januar bis zum 6. Februar durfte ich an einem zweiwöchigen Einsatz in Moldawien und Ukraine teilnehmen. Nach meiner Rückkehr habe ich verschiedene Fragen erhalten, auf die ich in diesem Bericht eingehen möchte.
Teilnehmer der Reise
Die Teilnehmer unserer Reise waren vier Männer aus verschiedenen Gemeinden. An dieser Stelle möchte ich die Aufmerksamkeit der Leser auf ein Wunder der weltweiten Gemeinde lenken. Eduard und Andreas sehen sich fast jeden Tag, Bruder Leo war schon oft mit ihnen zusammen, und ich hatte bisher nur in wenigen kurzen Momenten Kontakt zu Eduard. Trotzdem hatten wir während der gesamten Zeit eine besondere Harmonie untereinander. Vielleicht mag hier jemand einwenden: „Ja, aber ihr seid doch alles erwachsene Menschen und wisst euch zu benehmen!” Ich möchte jedoch offen sagen, dass der gemeinsame Dienst, der gemeinsame Herr und die von Gott geschenkte Bruderliebe uns einen Segen gegeben haben, den ich in dieser Weise schon lange nicht mehr erlebt habe.
Ziel und Stationen der Reise
Aquila ist ein Hilfskomitee, das Gemeinden in Kasachstan, Kirgistan, Sibirien, Usbekistan, Moldawien und Ukraine unterstützt. Dazu gehört unter anderem die Pflege von Kontakten, die persönliche Aufnahme einiger akuter Themen, die Knüpfung neuer Kontakte und die Offenhaltung der Augen für weitere mögliche Einsatzfelder.
Unsere Reise begann in Deutschland und führte uns über Österreich und Ungarn nach Rumänien und schließlich nach Moldawien. Dort haben wir etwa 3-4 Tage verbracht und sind dann in die Ukraine weitergereist.
In Moldawien haben wir bei Bruder Pawel Karpov übernachtet und viele interessante Orte besucht, darunter das Freizeitlager „Nehemia“ in der Nähe von Chişinău, die Gemeinde in Beschgös (Gagausien), Bruder Oleg Perebikowski und seine Frau sowie eine Gemeinde in Orgeev. Wir haben auch die innerländische Grenze nach Transnistrien/Tiraspol überquert und hier eine geistlich erbauliche Gemeinschaft mit dem Ältesten der Gemeinde und seiner Familie erlebt.
In der Ukraine sind wir zunächst nach Tschernovzy gefahren und haben am gleichen Abend eine Versammlung in der Gemeinde durchgeführt. Am darauffolgenden Tag sind wir nach Kamjanez-Podilskij weitergereist. Der Bruder Andrei in der Ortsgemeinde hat ein besonderes Herz für Invaliden, daher haben wir auch eine kleine Versammlung mit betroffenen Kindern und ihren Müttern durchgeführt. Nach dem gemeinsamen Mittagessen haben wir eine Mini-Stadtführung vom Auto aus von Bruder Andrei erhalten. Normalerweise dauert seine Führung vier bis sechs Stunden, doch wir hatten noch den sechsstündigen Weg nach Deschkowize vor uns.
In Deschkowize haben wir am Sonntag die Versammlung besucht und uns am Gottesdienst mit Predigten und einem Gedicht beteiligt. Schon am Sonntag begann unsere ausgedehnteste Arbeit: der Besuch der Roma in ihren Tabors mit Versammlungen und später auch mit Lebensmittelverteilung. Wir haben insgesamt elf Tabors der Roma besucht – zwei in der Umgebung von Deschkowize und die weiteren neun in der Umgebung von Mukatschewo. Neben diesen Besuchen haben wir auch ein Seminar für die Mitarbeiter der Schulen für Roma-Kinder durchgeführt und Schwester Swetlana Timochina in Ushgorod besucht.
Wir sind zum Ende unserer Reise weiter in den Nord-Westen der Ukraine gefahren und haben Kwassyliw bei Riwne besucht, um den Ältesten der Gemeinde und das Bruderhaus zu sehen. Dort leben süchtige Männer in einer Wohngemeinschaft und versuchen durch die Kraft des Evangeliums und die betreute Lebensweise ein neues Leben zu beginnen. In Volya bei Kowel haben wir Bruder Vadim Abramtschuk getroffen, der mit einer kleinen Gemeinde arbeitet, die sich auf die Unterstützung von Invaliden konzentriert. Am Abend haben wir an der Jugendstunde teilgenommen und zunächst bei der Bibelarbeit einige geistliche Gedanken der Jugendlichen gehört, bevor wir unsere Themen mit den Jugendlichen und Bruder Vadim geteilt haben. Unsere letzte Station in der Ukraine war die kleine Gemeinde in Wolodymyr-Wolynskij, wo wir das Abendmahl gemeinsam feierten und zu einer Tischgemeinschaft eingeladen wurden. Danach sind wir zurück nach Deutschland gereist. Insgesamt haben wir über 27 Orte besucht und mindestens genauso viele geistliche Gemeinschaften gehabt.
Unterwegs und an Grenzen
Innerhalb Europas mussten wir, wie erwartet, an keiner Ländergrenze halten. Die Ein- und Ausreise aus Moldawien verlief ähnlich schnell wie in der Ukraine. An den Grenzen in der Ukraine war lediglich mehr Militärpräsenz, aber nicht übermäßig (zumindest nicht sichtbar). Innerhalb von Moldawien mussten wir die Grenze nach Transnistrien überqueren, was aber auch reibungslos ablief.
Die Fahrten waren geprägt von guten Unterhaltungen, die wir untereinander und auch mit den uns begleitenden Brüdern hatten. Teilweise waren sie auch eine Vorbereitung für uns auf das, was uns als Nächstes begegnen würde. Wir haben aber auch die Zeit genutzt, um unser biblisches Wissen zu prüfen und zu erweitern, durch Rätsel oder das Aufsagen von Versen. Und natürlich haben wir auch geschlafen.
In der Ukraine gab es natürlich eine erhöhte Militärpräsenz und bewaffnete Soldaten an mehreren Straßenblockaden, doch wir haben keine wahrnehmbare Gefahrsituation erlebt. Hier sind wir Gott sehr dankbar, dass er alle ungesehenen Gefahren vor uns verborgen oder schon vorher aus dem Weg geräumt hat.
Verschiedene Sprachen und Gastgeber
Auf dieser Reise habe ich folgende Sprachen bewusst wahrgenommen: Deutsch, Russisch, Rumänisch/Moldawisch, Gagausisch, Ukrainisch, Englisch, Karpatisch, Ungarisch und die Sprache der Zigeuner sowie Polnisch. In Korolewo wurden im Gottesdienst Beiträge in sieben Sprachen vorgetragen.
Wir wurden meistens bei den Verantwortlichen der Ortsgemeinde untergebracht. Jedes Mal wurden wir sehr gastfreundlich begrüßt und die Hausbewohner haben sich meist so weit zurückgezogen, dass die ganze Familie manchmal in einem Raum schlief. Ihre Liebe war für uns ein wunderbares Zeugnis und ein großes Vorbild.
Besonders dankbar war ich für unseren Bruder Leo Lauer, der bei einigen Tischgemeinschaften mit den Gastfamilien sehr anschauliche Lektionen über die Bibel oder andere Themen gab. In der Ukraine erlebten wir auch, was es bedeutet, dass der Strom einfach vom Versorger abgeschaltet wird. So kam es oft vor, dass das Licht während des Essens ausging. Viele Haushalte halfen sich in dieser Zeit mit Benzingeneratoren oder Akkus aus. Besonders in ärmeren Familien wurden gerne Kerzen als Lichtquelle genutzt. Kein Strom bedeutete auch oft keine Heizung und kein warmes oder fließendes Wasser. Auf der anderen Seite konnten wir Dankbarkeit für etwas Alltägliches wie Elektrizität erleben und lernen.
Versammlungen bei den Roma
Die Roma sind ein Volk, das für seine Liebe zur Musik bekannt ist. Vor jeder Versammlung wurde daher meist laut und melodisch gesungen. Die Qualität des Gesangs variierte dabei von wilden Tonfolgen bis hin zu mehrstimmigen und beeindruckend harmonischen Liedern.
In jeder kleinen Roma-Gemeinde gibt es einen verantwortlichen Prediger, der die Versammlung in der Regel mit einem Gebet eröffnete und uns dann den Rest des Gottesdienstes überließ. Wir waren jedoch nie allein – Brüder aus den betreuenden Gemeinden Deshkowitsa und Mukatschewo waren immer dabei und halfen uns bei der Gestaltung des Gottesdienstes. Es gab zwei bis drei Predigten, dazwischen wurden Lieder gesungen, Gedichte vorgetragen oder Zeugnisse erzählt. Am Ende der Versammlung wurde zur Bekehrung und Buße aufgerufen. Wir durften den Segen erleben, dass in jeder Versammlung Roma-Menschen nach vorne kamen, um Buße zu tun.
Nach den Versammlungen verteilten wir Lebensmittelpakete an die Familien. Ein Paket bestand aus 20 kg Kartoffeln, 5 kg Karotten, 5 kg Zwiebeln, 2 Litern Öl und einer Packung Kerzen. Es war deutlich wahrnehmbar, dass sich die Menschen sowohl über die geistliche Speise als auch über die Lebensmittel freuten. Ein ukrainischer Bruder verglich das mit den zwei Dingen, die am Saum des hohepriesterlichen Gewands hingen: goldene Schellen und Granatäpfel.
Beeindruckende Begegnungen
In unserer Zeit im Osten Europas haben wir viele interessante Begegnungen und Erlebnisse gehabt. Einige davon möchte ich hier mitteilen.
Eine sehr beeindruckende Begegnung war mit einem jungen Bruder namens Odyssee im Tabor Sobatyn. Er erzählte uns, dass er bis zu seiner Bekehrung keine Liebe von seinen Eltern, Geschwistern oder Verwandten erfahren hatte. Erst durch seine Gemeinde und seine Beziehung zu Gott fand er Liebe und Sinn im Leben.
Eine weitere eindrucksvolle Begegnung war mit der älteren Schwester Svetlana Timochina. Sie erzählte uns von ihrem Leben und wie sie zu Gott gefunden hatte. Trotz bescheidener Verhältnisse allein in ihrem Zimmer schreibt sie Gedichte, Lebenszeugnisse und Geschichten und dient Gott mit ihrer Hingabe. Es war inspirierend zu sehen, wie aus so einfachen Verhältnissen so vielfältige, wertvolle und segensreiche Früchte entstanden.
Eine Geschichte, die uns in der kleinen Gemeinde Orgeev in Moldawien erzählt wurde, möchte ich nicht auslassen. Vor einigen Jahren mussten die Gläubigen vor jeder Versammlung einen Preis zahlen – einen Faustschlag ins Gesicht. Die örtliche Kirche und ihre Vertreter mochten es nicht, dass die Baptisten in ihrem Ort Versammlungen und Evangelisationen abhielten, und bedienten sich gottloser Werkzeuge in Form von Schlägern und Raufbolden. Diese stellten sich vor den Versammlungen am Tor auf und jeder, der eintreten wollte, musste einen Faustschlag ins Gesicht ertragen – und die Gläubigen akzeptierten diesen Preis, bis die Peiniger schließlich aufhörten.
Reisen und Neues entdecken ist aufregend, aber was mich am meisten beeindruckt hat, ist die geistliche Gemeinschaft auf der Fahrt. Ich habe viel gelernt, bin geistlich gewachsen und wurde selbst auch gesegnet, während ich anderen gedient habe. Es ist wunderbar zu erfahren, wie Gott uns nützlicher macht, wenn wir uns für ihn einsetzen.
L. M.